Aggression und Kriminalität

Untersuchungen zur so genannten Lebensbewährung wurden in Deutschland seit den 1950er Jahren in regelmäßigen Abständen durchgeführt. Die Befunde variierten. Bei 30 bis 80 Prozent der Heimkinder sollen die Institutionen gescheitert sein. Carola Kuhlmann gibt nach einer Zusammenschau von ungefähr 80 Untersuchungen über Lebensläufe ehemaliger Heimkinder an, dass sich nach deren Sichtweise zwei Drittel positiv entwickelt hätten. In Österreich wurde 1970 davon ausgegangen, dass die Heime bei 60 bis 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen ihren gesellschaftlichen Auftrag der „Resozialisierung“, wie es im Jugendwohlfahrtsgesetz hieß, nicht erreicht haben. Jedenfalls war ein hohes Maß des Scheiterns der Heimerziehung festzustellen.

 Die Untersuchungen erhoben, ob die HeimabgängerInnen einer geregelten Arbeit nachgingen, halbwegs bürgerlich lebten, vor allem aber, ob sie nicht mit dem Gesetz in Konflikt gerieten. War dies im Großen und Ganzen gegeben, galt die Heimerziehung als erfolgreich. Es ging also vor allem um die Anpassung an bestehende Verhältnisse.

Prinzipiell sagte aber auch dieser Erfolg wenig darüber aus, ob die Heime ihren Kindern in Bildung und Beruf genügend Chancen mitgegeben hatten zur Bestreitung eines angemessenen Lebensunterhaltes und für einen sozialen Aufstieg, ob ihre Beziehungsfähigkeit, Selbstständigkeit und ihre Möglichkeiten der Teilnahme am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben gestärkt wurden. Den bisherigen Ausführungen dieser Studie war zu entnehmen, dass in den Heimen die (berufliche) Bildung stark vernachlässigt wurde, die Bindungs- und Konfliktfähigkeit durch räumliche und emotionale Isoliermaßnahmen nicht gefördert wurden und dass Unabhängigkeit und Selbstmächtigkeit keine erzieherischen Ziele darstellten. Auch der lieblose, distanzierte und gewalttätige Umgang mit den Heimkindern war nicht dazu angetan, einen Beitrag zur Entwicklung der Persönlichkeit zu leisten. Einem fürsorglichen Kontakt mit späteren eigenen Kindern stand er sogar im Wege.

In welchen Fällen Heimerziehung durch die Herauslösung der Kinder aus einer gewalttätigen, Missbrauch ausübenden Familie Schaden begrenzte und Schutz bot, eine bessere emotionale und materielle Versorgung als im Herkunftsmilieu sicherstellte und die Interessen der Kinder und Jugendlichen nach der Heimentlassung wahrnahm, muss erst noch durch weitere Untersuchungen eruiert werden. Ebenso offen ist noch, wie der positive Einfluss von jenen ErzieherInnen, die trotz der schlechten Rahmenbedingungen und der strukturellen Gewalt in den Heimen, die Kinder gut behandelt haben, einzuschätzen ist.

Eine informelle Erhebung des Sozialarbeiters Klaus Madersbacher und der Sozialwissenschafterin Eva Köckeis in der Innsbrucker Justizanstalt Ende der 1970er Jahre ergab, dass viele Heimkarrieren ins Kriminal führten. Einige der ehemaligen Heimkinder, die im Rahmen dieser Studie kontaktiert wurden, sind mit der Polizei in Konflikt geraten oder auch im Gefängnis gelandet. Dabei fällt auf, dass bereits geringe Gesetzesverstöße ausreichten, um einen unverhältnismäßigen Zugriff der Justiz auszulösen und überaus harte Urteile zu fällen. Den Teufelskreis nach einer Haftstrafe zu durchbrechen, gestaltete sich überaus schwierig. Der Leiter der Diakonie Freistatt kam nach Vorlage der Forschungsergebnisse zweier deutscher Kirchenhistoriker über das Schicksal von Heimkindern in diakonischen Einrichtungen zu folgendem Schluss: „Wir haben mehr Täter geschaffen als verhindert.

Die Mehrheit der Befragten spricht davon, dass sie im Heim und danach unbändige Wut verspürten. Walter Müller hält dazu fest: „Ich war so voller Jähzorn, ich war so voller Hass.“ In ihm sei „unheimlich viel Böses erwacht und gewachsen“. Es habe lange gedauert, bis er dieses Potential abgebaut habe. Franz Pichler berichtet, dass er aufbrausend und unkontrolliert war und schnell „ausrastete“. Eine seiner Maxime war, dass er sich nie wieder etwas gefallen lassen würde. Mehrere Interviewpartner berichten, wie sehr sie von Hass erfüllt waren gegen Jugendämter, Gerichte, Exekutive und Autoritäten generell. Die Opfer der Heimerziehung fühlten sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt, während die Täter gesellschaftlich anerkannt waren. Julia Wegner hält fest: „Es kostet viel Selbstarbeit, viel Blut und Schweiß sage ich und das gelingt sicher nicht allen, solche Vergangenheiten richtig zu verarbeiten, vor allem, dass man nicht weitergibt, was einem selbst geschehen ist.“ Man laufe immer Gefahr,nach der erlittenen Gewalt selbst auch zu Gewalt zu greifen.